Umweltbewegung, Tschernobyl und die weltweite No-Logo-Kampagne


Veröffentlicht am 25.04.2006 in der Kategorie Greenwash von Axel Mayer

Umweltbewegung, Tschernobyl und die weltweite No-Logo-Kampagne



Beginn einer Strategiedebatte

Keine Presseerklärung, sondern ein persönlicher Debattenbeitrag von Axel Mayer. Der Autor war lange Jahre Sprecher einer der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen. Heute ist er BUND-Regionalgeschäftsführer in Freiburg, Kreisrat und Vizepräsident im Trinationalen Atomschutzverband TRAS.

Die "alternativen Erinnerungsfeierlichkeiten" zum zwanzigsten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl laufen auf Hochtouren.

Angesichts zunehmender Gefahren durch Atomkraftwaffen, der zunehmend industriegelenkten, öffentlichen Debatte um AKW-Gefahrzeitverlängerung und um neue Atomreaktoren ist es mehr als wichtig, dass es immer noch "Bewegung" und Aktive gibt. Dennoch bleibt manchmal Unzufriedenheit mit den fast immer gleichen Ritualen, Demos, Reden und manchen alten Aktionsformen. Auch soziale Bewegungen kommen in die Jahre und so wiederholt man gerne, was sich die letzten Jahre bewährt hat. Eine zunehmend statische, berechenbare Bewegung verliert ihr Potential, Veränderung zu bewirken.

Die AKW-Betreiberseite hat in Sachen Atompropaganda viel gelernt, während ein Teil der Umweltbewegung noch immer in lange zurückliegenden Erfolgen schwelgt. Heute werden Atomkraftwerke mit Umweltzertifikaten grüngewaschen und neue geschickte Durchsetzungsstrategien für Risikotechnologien eingesetzt. Gut gemachte Öffentlichkeitsarbeit sorgt dafür, dass selbst schwere Atomunfälle, wie jüngst in der englischen Wiederaufarbeitungsalage Sellafield, nur kurz in den Medien erwähnt werden. Nicht der Atomunfall ist heute das Problem der Konzerne, sondern die auf den Unfall folgende "Krisenkommunikation". Und für diese Krisenkommunikation, die gezielte Verharmlosung von Unfallfolgen, gibt es heute spezialisierte PR-Firmen. Greenwash ist zwischenzeitlich Tagesgeschäft. Der französische Atomkonzern EDF gründete gemeinsam mit Strommulti EnBW sogar einen neuen Umweltverband. "Au fil du rhin" heißt der atomare Umweltclub am Oberrhein, der einerseits für Nachhaltigkeit wirbt und gleichzeitig Akzeptanz für alte und neue Atomkraftwerke schaffen soll. Eine mehrheitlich konservative, norwegische Regierungskommission verlieh 2005 der IAEO den Friedensnobelpreis und mit diesem Heiligenschein kann diese mit Atomlobbyisten durchsetzte UN-Organisation um so besser die Folgen von Tschernobyl verharmlosen. Gleichzeitig fördert die IAEO mit der so genannten friedlichen Nutzung der Atomenergie die indirekte Weitergabe von Atomwaffen.

Effektiv und wichtig für die bundesweite Antiatombewegung ist sicher immer noch der kontinuierliche Widerstand in Gorleben. Ohne den kreativen, gewaltfreien Protest der AktivistInnen im Wendland wäre der Durchmarsch der Atomlobby in den letzten Jahren schwer aufzuhalten gewesen.

Bundesweite Aktionen, Demos und Infoveranstaltungen sind und bleiben wichtig. Und doch sollten, ja müssen auch immer wieder neue, gewaltfreie, regionale und bundesweite Aktionen und Widerstandformen auf ihre Wirksamkeit getestet werden.

Ein alter neuer Ansatz ist der Trinationale Atomschutzverband TRAS in Südbaden, Elsass und der Schweiz. Über 23 Gemeinden und Städte, viele Verbände und Einzelpersonen versuchen auf einer Ebene zwischen Nichtregierungsorganisationen und Kommunen mit Gutachten, Prozessen und Infoarbeit auf breiterer finanzieller Basis gegen alte und neue Atomkraftwerke am Oberrhein anzugehen.

Erfolgversprechend wären auch gut und professionell gemachte Stromwechselkampagnen. Mit Ökostromanbietern wie beispielsweise der Schönauer EWS gibt es jetzt ja tatsächlich Möglichkeiten, die Atomkonzerne an der empfindlichsten Stelle, nämlich bei den Gewinnen, zu treffen. Bisher waren unsere Kampagnen in diese erfolgversprechende Richtung aber noch viel zu schlecht geplant, organisiert und eher gut gemeint als gut gemacht. "Wir üben noch" lässt sich angesichts der viel zu geringen Übergangsquote zu echten Ökostromanbietern nur sagen.

Jede Photovoltaikanlage und jedes neu gebaute, privat finanzierte Windrad nimmt den AKW–Betreibern und Atomkonzernen Anteile an der Stromproduktion weg. Der massive Widerstand von Atomlobby und Atomparteien gegen diese ökologische und ökonomische Konkurrenz zeigt die Betroffenheit der Atom- und Kohlekonzerne.

Einen anderen wichtigen Ansatz möchte ich ein wenig umfangreicher darstellen: Wäre es möglich und erfolgversprechend, die globalisierungskritische No-Logo-Kampagne auf die Umwelt- und Anti-Atombewegung zu übertragen und diese Ideen zu modifizieren und weiterzuentwickeln?

Naomi Klein, eine amerikanische Autorin und Aktivistin, kritisierte in ihrem berühmten Buch "No Logo" die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den ghettoähnlich abgeschirmten Sweatshops in Südostasien. Dort wird unter teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen für Großkonzerne teure Markenkleidung hergestellt. Die Marketingleute der gleichen Firmen bauen gezielt die Firmenmarken/Firmenlogos auf, die für coolen Lebensstil, Sportsgeist oder Freiheit stehen sollen. Die Kosten der Werbekampagnen werden bei der Herstellung in Entwicklungsländern eingespart - mit Gewinnspannen bis zu 400 Prozent. Bei uns, in den Industrieländern, beherrschen die gleichen Unternehmen mit ihren Marken den öffentlichen Raum und versuchen Kultur und Bildung für sich zu vereinnahmen. Die No-Logo-Idee geht mit ihrer Kritik gezielt die Firmennamen an und bildet so ein Gegengewicht zu den teuren Imagekampagnen der Konzerne.

Ähnlich wie bei den von Naomi Klein kritisierten Markenfirmen ist das Vorgehen der Atomkonzerne. Beim Uranabbau, zumeist in Ländern der dritten Welt, wird über Leichen gegangen. Atomkraftwerke bedrohen im so genannten Normalbetrieb Mensch und Umwelt. Atommüll muss eine Million Jahre sicher gelagert werden und der gefährlichste Nebeneffekt der zivilen Nutzung der Atomenergie ist die fortschreitende, globale Verbreitung von Atomkraftwaffen. Gleichzeitig aber werden die unglaublichen Gewinne der Stromkonzerne genutzt, um teure Imagekampagnen durchzuführen. Mit millionenschweren Werbekampagnen schaffen sich die Atomkonzerne in der Öffentlichkeit ein gutes Image und polieren ihren Firmennamen und damit ihr Logo. Der mediale Stopp der Wolke von Tschernobyl an der französischen Grenze zeigte die undemokratische Medienmacht des Atomkonzerns EDF in der französischen Demokratie. Aufbauend auf dem Desinformationssystem des real existierenden Sozialismus in der ehemaligen UdSSR in Sachen Tschernobyl versucht heute die IAEO die Folgen der Reaktorkatastrophe herunterzuspielen.

Die aktuelle, äußerst geschickte Kampagne zur Gefahrzeitverlängerung von AKW ist ja nur der Beginn der Kampagne zum Neubau von AKW. Bei realistischen Kosten von 4 Milliarden Euro für ein neues AKW geht es weltweit um ein Geschäft von vielen hundert Milliarden Euro. Eine milliardenschwere Werbekampagne für die "nachhaltige Kernenergie" beginnt anzulaufen.

Warum versuchen wir bei EnBW, E.ON, Vattenvall und RWE nicht das gleiche, was die No-Logo-Kampagne bei NIKE und Coca Cola so erfolgreich praktizert hat? Warum gehen wir nicht stärker und gezielter gegen das mit viel Geld aufgebaute Image der uns bedrohenden Konzerne an?

Naomi Klein sagte in einem Interview: "Ich glaube, dass die Frage der Ökologie eine viel größere Chance in sich birgt, als wir sie derzeit in Nordamerika haben. Die gesamte ökologische Bewegung, also auch die der Kernkraftgegner, hat eine riesiges Potential. Sie muss es aber schaffen, die Verbindung zwischen Umweltzerstörung und den Interessen der Wirtschaft, die dahinter stehen, deutlich zu machen." (Zitatende)

Doch wie kann die Umweltbewegung die Verbindung zwischen AKW, Atomkraftwaffen, Umweltzerstörung und den Interessen der Atomkonzerne herstellen?

Ein möglicher Ansatz wäre es, den Charakter und auch die Zielrichtung unserer Kampagnen, Demos, Aktionen, Infoblätter und Internetauftritte, gerade auch nach der Kampagne "20 Jahre Tschernobyl", zumindest in Teilen zu ändern.

Es ist schön, mit einem "Atomkraft - Nein Danke"-Transparent zur Demo zu gehen. Ein Transparent "E.ON - Nichts gelernt aus Tschernobyl" zur rechten Zeit in die Kameras gehalten, schafft in der Konzernzentrale von E.ON wesentlich mehr Ärger als das Protesttransparent ohne Firmenlogo. Lasst uns am falschen Lack der teuren Werbe- und Desinormationskampagnen kratzen. Nicht die wenigen Projekte, wo die Konzerne manchmal ausnahmsweise sinnvolle Dinge fördern sollten kritisisiert werden, wohl aber die teuren, verlogenen Greenwash- und PR-Kampagnen der Konzerne. Überall dort wo die Öffentlichkeit von Atomkonzernen gezielt desinformiert wird, sollten unsere Kampagnen einsetzen.

Die nachgeahmten, verfremdeten Anzeigen von Großkonzernen im Greenpeace-Magazin sind erste kreative Ansätze einer solchen Kampagne. Aber was nützt es, nur die Mitglieder zu "bekehren"?

Wir müssen solche Strategien diskutieren, planen, durchaus auch auf rechtliche Aspekten untersuchen und offensiv nach außen tragen.

Eine Idee dazu haben wir beim BUND in Freiburg mit der internationalen Gefahrstromkampagne entwickelt. Auf Transparenten, Plakaten und auch im Internet stehen neue Plakate und Grafiken jetzt immer häufiger im Zusammenhang mit den kritisierten Firmennamen. "EnBW – Gefahrstrom" und dazu das Symbol der bei einer Reaktorkatastrophe flüchtender Menschen steht auf Plakaten, Aufklebern und wer bei der Google-Bildsuchfunktion den Begriff 'EnBW' eingibt, stößt natürlich auch auf dieses Motiv.

Nicht sehr erfreut sind die Werbestrategen der Atomkonzerne auch über das, was sich findet, wenn bei Bildsuchmaschinen gleichzeitig die beiden Begriffe 'EnBW EDF' eingegeben werden. Mit gut gemachten Internetseiten, einer intensiven wechselseitigen Verlinkung und gut gewählten Metatags können wir im Internet den Werbemillionen der Konzerne (immer noch) Paroli bieten.

Die Übertragung von Ideen der globalisierungskritischen No-Logo-Kampagne auf die Umweltbewegung führt sicher nicht zur sofortigen Abschaltung der Atomkraftwerke und zu einer nachhaltigen Energieversorgung. Sie könnte aber Sand im Getriebe der Atomkonzerne sein. Nicht so erfreulich grobkörniger Sand wie der aus dem Wendland um Gorleben, aber auch feinkörniger Sand kann zerstörerische Getriebe zum Knirschen bringen.

Es ist davon auszugehen, dass nach der geplanten Gefahrzeitverlängerung von AKW auch der Neubau von Euroreaktoren ansteht. Spätestens dann wird eine Massenbewegung Widerstand leisten. Stromwechselkampagnen und Aktionen, angelehnt an die No-Logo-Kampagne, die auf das Image der Atomkonzerne abzielen, könnten dann die bewährten Aktionsformen ergänzen.

Diese Debatte soll zuerst im Internet geführt werden. Reaktionen, Kritik, Ergänzungen bitte an bund.freiburg@bund.net

Sollte sich zu diesem Thema eine Debatte entwickeln, dann würden wir nach den Sommerferien zu einer Veranstaltung einladen.

Mehr Informationen zur Atomenergie


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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


Getragen von der kleinen Hoffnung auf das vor uns liegende Zeitalter der Aufklärung (das nicht kommen wird wie die Morgenröte nach durchschlafner Nacht)



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